Korrespondenz mit Dr. Rabl
Korrespondenz mit Dr. Rabl
Vorbemerkung: Am 17. Oktober 2011 schickte Lynda nachstehenden Brief an Dr. Rabl als E-Mail-Anhang. In seiner Antwort vom 10. November 2011 schickte er ihren Brief zurück, in welchem er im Text direkt auf ihre jeweiligen Fragen einging. Um Verwirrung hinsichtlich Frage und Antwort zu vermeiden, habe ich seine Antworten in Kursivschrift gesetzt.
17 Oktober 2011
An: Dr. Walter RablInstitut für Gerichtliche Medizin
Müllerstraße 44
6020 Innsbruck
Von: Lynda MacPherson
1630 Prince of Wales Avenue
Saskatoon, SK
S7K 3E4 Canada
Lieber Walter,
Es ist nun schon fast ein Jahr her, dass wir zum letzten Mal miteinander in Kontakt waren. Die Jahre fliegen dahin, doch ganz egal, wie viel Zeit auch vergeht, lässt Bob und mich das Rätsel nicht los, was unserem Sohn vor so langer Zeit widerfahren ist.
Wie Sie sich bestimmt erinnern, baten wir 2009 einen Schriftsteller namens John Leake darum, Duncans Geschichte zu recherchieren und möglicherweise ein Buch darüber zu schreiben. Sie haben sich im Herbst 2009 mit ihm an Ihrem Institut getroffen. Nachdem er sich seit nunmehr zweieinhalb Jahren mit dem Fall beschäftigt, hat John einige Fragen aufgeworfen, die wir bislang nicht beachtet hatten. Ich muss gestehen, dass einige davon sehr verstörend sind.
Sie haben sich uns gegenüber stets freundlich und zuvorkommend gezeigt, weshalb es uns unangenehm ist, Sie nach ihrer Verwicklung in den Fall zu fragen. Andererseits möchten wir auch keine Spekulationen anstellen, so dass wir beschlossen haben, Ihnen die folgenden Fragen einfach zu stellen. Wir wären Ihnen sehr verbunden wenn Sie diese beantworteten, ob per E-Mail oder mit der regulären Post, ganz, wie es Ihnen beliebt. Wenn mit uns Sie darüber sprechen möchten, lassen Sie mich bitte wissen, wann es Ihnen am besten passt, ein Telefonat zu führen, dann werde ich Sie anrufen und die Gebühren für das Ferngespräch übernehmen.
Mit freundlichen Grüßen,
Lynda
Frage 1: Als wir Ihnen am 24. Juli 2003 an Ihrem Institut zum ersten Mal begegneten, sagten wir Ihnen, dass wir eine Autopsie wünschten, weil es wichtig für uns sei, zu wissen, wie Duncan gestorben sei. Sie sagten uns, Sie seien nicht dazu autorisiert, eine gerichtsmedizinische Untersuchung vorzunehmen, sondern lediglich eine Identifikation der Leiche. Wir sagten ihnen immer wieder, dass wir wissen wollten, wie Duncan gestorben sei, trotzdem sagten Sie uns nicht, dass wir einfach eine private Autopsie hätten anfordern können – warum nicht?
Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, worüber wir bei unserer Begegnung sprachen, bin mir jedoch sicher, dass ich, wenn Sie diesen Punkt angesprochen hätten, Sie über die Möglichkeit einer privaten Autopsie unterrichtet hätte. (An unserem Institut braucht man für eine Privatautopsie das Mandat eines Rechtsanwaltes und die Genehmigung der örtlichen Gesundheitsbehörde.)
Frage 2: Sie führten uns zu Duncans Leiche; er war bis zur Brust mit einem Tuch bedeckt; wir deckten ihn nicht auf. Nachdem wir Duncans Leiche angesehen hatten, sagte ich noch, wie überrascht ich von deren gutem Zustand sei, wenn man bedenke, dass sie 14 Jahre lang im Gletschereis gelegen habe. Sie entgegneten dies komme daher, dass kurz nach Duncans Tod der Schnee um ihn herum geschmolzen sei und das Eis wie ein Sarg gewirkt habe, der seinen Körper schützte. Warum aber haben Sie die verletzten Gliedmaßen nicht erwähnt?
Die Schäden an der Leiche waren nichts Ungewöhnliches für eine Leiche, die 14 Jahre lang vom Gletscher bewegt wurde. Wir bereiteten die Leiche für Sie vor, damit Sie einen vollständigen Körper sehen könnten (normalerweise bekommen die Angehörigen eine Leiche erst bei der Beerdigung zu Gesicht – dies war eine Ausnahme für Sie). Die Verletzungen an Gliedmaßen und Halswirbelsäule habe ich aus ethischen Gründen unerwähnt gelassen. Personen, die die Leiche eines geliebten Menschen sehen, sollten eine friedliche und ruhige Situation in Erinnerung behalten.
Frage 3: Im September 2006 sagten Sie in ihrem Interview für die fifth estate Dokumentation, die Schäden an Duncans Gliedmaßen seien ähnlich wie die, welche Sie an anderen Gletscherleichen gesehen hätten. Dann aber sagten Sie: »Die Verletzungen selbst konnte ich jedoch nicht genau untersuchen.« Warum konnten Sie die Verletzungen nicht genau untersuchen? Was hinderte Sie daran?
Wir entkleideten die Leiche nicht und rekonstruierten die verbleienden Knochenbruchstücke nicht, weil die ohne Entkleiden sichtbaren Schäden denen an anderen Gletscherleichen entsprachen.
Frage 4: Im selben Interview sagten Sie, Sie hätten die Leiche nie entkleidet. Wir wissen jedoch durch Ihre Fotos, dass Sie Duncans abgetrennte Gliedmaßen sahen und bewegten, welche nicht bekleidet waren. In Ihrem ID-Bericht erwähnten Sie zwar einen Schnitt auf Duncans linker Kopfseite, jedoch nicht die Traumata an seinen Gliedmaßen. Warum nicht?
In meinem Bericht schrieb ich, dass sich Körperteile in verschiedenen Säcken befänden und der Kopf vollkommen abgetrennt sei. Die Kleidung war schwer beschädigt, also konnten wir DNS-Proben nehmen, ohne die ganze Leiche zu entkleiden.
Frage 5: Wenn Sie annahmen, dass die Amputationen und Frakturen durch die Scherkraft des Eisflusses hervorgerufen wurden, warum erwähnten Sie dies dann nicht in Ihrem Bericht?
Die Untersuchung wurde ausschließlich zur Identifizierung Duncans angeordnet.
Frage 6: Im Laufe der letzten Jahre haben wir die Fotos und Röntgenaufnahmen von Duncans Leiche mehreren Gerichtsmedizinern, forensischen Anthropologen, Röntgenologen, Unfallchirurgen, orthopädischen Chirurgen und einem Ermittler in Bergunglücken gezeigt. Alle stimmen darin überein, dass die Verletzungen an Duncans Gliedmaßen charakteristisch für einen Maschinenkontakt sind. Angesichts Ihrer umfassenden Kenntnisse und Erfahrung im Bereich der Gerichtsmedizin ist es für uns schwer zu verstehen, warum Sie diese Auffassung nicht teilten – oder nicht wenigstens erkannten, dass die Verletzungen an Duncans Gliedmaßen ein Ermittlungsverfahren notwendig machten. Dem Innsbrucker Staatsanwalt Richard Freyschlag zufolge verständigten Sie diesen nie, um eine entsprechende Vermutung hinsichtlich der Verletzungen zu äußern. Sahen Sie tatsächlich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Verletzungen an Duncans Gliedmaßen durch eine Maschine und nicht durch die Gletscherbewegung hervorgerufen wurden?
Normalerweise ist die Polizei in Kontakt mit der Staatsanwaltschaft – so auch in Duncans Fall. Ich bin immer noch der Überzeugung, dass die Schäden an der Leiche durch die Gletscherbewegung verursacht wurden.
Frage 7: Sie sagten uns, ihrer Meinung nach sei Duncan wahrscheinlich erstickt. Konnten Sie die Möglichkeit ausschließen, dass er infolge der schweren Verletzungen an seinen Gliedmaßen starb? Wenn ja, wie schlossen Sie dies aus?1
Ich kann mir keine Situation vorstellen, in der (lediglich) Verletzungen der Gliedmaßen (sowohl der Arme als auch der Beine) und der Halswirbelsäule (Enthauptung) hervorgerufen werden, ohne dass gleichzeitig auch Frakturen an Rippen, Schädel oder Becken entstehen. Die Annahme der Todesursache erfolgte nach meiner allgemeinen Erfahrung.
Frage 8: Wenn Sie nicht dazu autorisiert waren, im Institut für Gerichtliche Medizin eine gerichtsmedizinische Untersuchung an Duncans Leiche vorzunehmen, warum waren Sie dann autorisiert, einen CT-Scan in der Radiologieabteilung der Uniklinik anzufordern?
Ich war nicht offiziell autorisiert, eine Computertomografie anzufordern. Auf Ihren Wunsch verständigte ich meinen Kollegen Dr. Waldenberger, der die Computertomografie von Duncans Leiche ermöglichte.
Frage 9: Warum schickten Sie uns nach der CT vom 31. Juli 2003 nicht unverzüglich sämtliche Bilder und den Bericht des Radiologen?
Ich erhielt den Bericht nicht früher. Im November 2003 schrieb ich eine E-Mail und erwähnte, dass ich die Röntgenbilder nicht vorher bekommen hatte.
Frage 10: Am 21. November 2003 schickten Sie uns schließlich vier digitale Röntgenbilder, aber es war kein Bild von Duncans zermalmtem linken Bein dabei. Warum nicht?
Weil Dr. Waldenberger nur CT-Aufnahmen des Torsos machte. ich glaube, dafür gab es technische Gründe, und die Hauptfrage war ja, ob schwere Verletzungen des Thorax, des Beckens oder der Wirbelsäule vorlagen.
Frage 11: Dr. Waldenberger zufolge forderten Sie die CT-Aufnahmen ausschließlich für uns an, da der Fall offiziell abgeschlossen war. Dies legt nahe, dass Sie von vornherein wussten, dass die Computertomografie nichts Verdächtiges oder etwas, das gegen einen Sturz in eine Gletscherspalte spräche, ergeben würde. Trotzdem sagten Sie uns, eine Computertomografie könne helfen, herauszufinden, wie Duncan gestorben sei oder wenigstens bestätigen, dass er nicht durch Gewalteinwirkung gestorben sei, da es hierbei häufig zu Knochenbrüchen komme. Daneben teilte Dr. Knapp von der Bezirkshauptmannschaft unserem Vizekonsul William Douglas mit, die Computertomografie diene dem Zweck, mögliche Frakturen an den Knochen festzustellen. Dadurch gewannen wir und unser konsularischer Vertreter den Eindruck, dass im Falle von Duncans Tod ermittelt würde. Können Sie uns die Diskrepanz zwischen Ihrer Aussage gegenüber Dr. Waldenberger und Ihrer Aussage uns gegenüber erklären?
Ich forderte die Untersuchungen nur für Sie und ohne vorherige Anweisung an. Dr. Knapp hatte mit dieser CT nichts zu tun.
Frage 12: Angenommen, Duncan hätte an seinen Gliedmaßen tatsächlich mehrfache segmentale Frakturen erlitten, warum wurden diese dann nicht im Rahmen der Computertomografie untersucht und in einem Bericht analysiert? Wenn diese Frakturen gescannt und analysiert wurden, wo sind dann die Bilder und der Bericht?
Siehe Frage 10
Frage 13: Warum war die radiologische Untersuchung von Duncans Leiche unter dem Decknamen »Wissenschaft Waldi« und dem falschen Geburtsdatum 13. Juli 2003 abgelegt?
Jede Computertomografie wird registriert. Für das System braucht man Namen und Geburtsdatum eines Patienten. Zu Zwecken der Wissenschaft »Wissenschaft«; »Waldi« ist die Abkürzung für Waldenberger) können die Radiologen Untersuchungen vornehmen, ohne dass das Krankenhaus diese in Rechnung stellt.
Frage 14: Dr. Jaschke zufolge teilt die Radiologieabteilung in Fällen wie dem Duncans »sämtliche Erkenntnisse der gerichtsmedizinischen Abteilung mit«. Wo ist Dr. Waldenbergers Bericht, und warum haben Sie uns keine Kopie davon geschickt?
Ich erhielt keinen offiziellen Bericht, weil es sich nicht um eine offizielle Untersuchung handelte. Dr. Waldenberger teilte mir seine wissenschaftliche Meinung mit, was ich Ihnen (und Derrick) auch gesagt habe.
Frage 15: In einem Brief an Vizekonsul Douglas vom 26. März 2004 schrieb Dr. Knapp, die genaue Todesursache sei vom Institut für Gerichtliche Medizin in Innsbruck festgestellt worden. Kennen Sie Quelle von Krapps Information?
Nein, das stimmt nicht.
Frage 16: In seinem Interview mit the fifth estate sagte Werner Pürstl, Leiter der Sektion für Straf- und Gnadensachen im Justizministerium: »Selbstverständlich wurde die Leiche äußerlich untersucht; es gab keinerlei Anzeichen für einen Gewaltakt gegen den Verstorbenen, dafür aber eine sehr offensichtliche Erklärung der Vorgänge.« Kennen Sie die Quelle, aus der Pürstl diese Informationen hatte?^
Nein. Ich hatte nie Kontakt zu Pürstl.
Frage 17: In Ihren E-Mails vom 5. Dezember 2003 und vom 6. Oktober 2004 rieten Sie uns davon ab, den Stubaier Gletscher zu verklagen, da, wie Sie behaupteten, die definitive Todesursache »unklar« bleibe. Angesichts der Tatsache, dass die Kenntnis der Todesursache entscheidend für eine Klage gegen den Stubaier Gletscher gewesen wäre und wir Ihnen gegenüber wiederholt den Wunsch geäußert hatten, die Todesursache zu erfahren, komme ich zurück zu Frage 1: Warum sagten Sie uns nicht, dass wir das Recht hatten, eine private gerichtsmedizinische Untersuchung der Leiche unseres Sohnes anzufordern?
Siehe Frage 1.